Unternimm die Zukunft ist eine von Götz
Werner im November
2005 gegründete
politische Initiative,
die die Einführung eines bedingungsloses Grundeinkommens
(auch Bürgergeld
genannt) in Deutschland
fordert.
Inhaltsverzeichnis:
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Theorie
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Kritik
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Weblinks
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Quellen
Götz Werner geht davon aus, dass sich durch
die Rationalisierung und Automatisierung,
die er durchaus begrüßt, in den Produktionsprozessen nie wieder Vollbeschäftigung erreichen ließe. Das paradoxe
Ergebnis sei die Vergrößerung der Armut durch Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig immer größer
werdender Produktivität und einer ungleichen Verteilung des
insgesamt steigenden Reichtums. Das eigentliche ökonomische
Problem sei also keine Wirtschafts-, sondern eine
"Verteilungskrise".
Als Lösung wird die Einführung eines Grundeinkommens,
zunächst in Höhe von 200 bis 400 EUR, vorgeschlagen, das jeder Bürger mit
deutscher Staatsangehörigkeit bedingungslos erhalten soll.
Später(in einem Verlauf von 15-20 Jahren) soll das Einkommen auf 1300 bis 1500
gesteigert werden. Es soll über eine ca. 48%ige Mehrwertsteuer
(bzw. von Werner "Konsumsteuer" genannt) finanziert werden bei
Abschaffung aller anderen Steuern aus Einkommen (Lohnsteuer, Einkommensteuer,
Kapitalertragsteuer, evtl. Vermögensteuer).
Der Vorteil sei ein umfangreicher Abbau
staatlicher Bürokratie sowie nur noch eine transparente
wettbewerbsneutrale und wertschöpfungsneutrale Steuer. Nicht Leistung, sondern Konsum würde so besteuert - und Importe wären durch
die einheitliche Konsumsteuer ebenso belastet wie die inländischen Produkte.
Gleichzeitig wäre der Export
entlastet von Steuern sowie teilweise von Lohnkosten gerade im unteren
Lohnbereich. Entfallen würden weiter Rentenversicherung,
Arbeitslosenversicherung, Erwerbsunfähigkeitsversicherung, Sozialhilfe.
Tarifrecht und Kündigungsschutz wird überflüssig. Allerdings müsste der Bürger
seine Krankenversicherung dann selbst aufbringen. Unternehmer könnten bereits
für 200 bis 300 Euro pro Monat Arbeitnehmer einstellen. Der Arbeitnehmer würde
erhalten: 1500 + 200 Euro. Ausländische Unternehmer würden wegen der hohen
Produktivität mehr in Deutschland produzieren. Die Menschen würden nicht mehr
arbeiten, um das Einkommen zu sichern, sondern nur noch, weil die Menschen
Freude an der Arbeit haben. Es wird effektiver und stressfreier gearbeitet. Die
Angst der Menschen, Einkommen sichern zu müssen, entfällt. Statt einem Recht
auf Arbeit, gibt es ein Recht auf Einkommen. Es würde einen großen Impuls für
Kulturarbeit, Bildungs- und Pflegearbeit sowie für Wissenschaft und Forschung
geben. Das Ehrenamt würde gestärkt werden. Das Grundeinkommen soll je nach
Lebensalter zwischen 800 und 1500 Euro liegen. Bereits heute gibt der deutsche
Staat sehr viel Geld für eine Grundsicherung seiner Bürger aus (720 Mrd. pro
Jahr für bestehende soziale "Transfersysteme" [1]
[2]).
Dieses Geld würde bereits zur Zahlung eines kleinen Grundeinkommens von 800
Euro pro Monat pro Person ausreichen [3] [4].
Deshalb ist faktisch keine Steuererhöhung notwendig, lediglich eine
Steuerumverteilung. Durch steigende Prosperität
kann auf Dauer das Grundeinkommen erhöht werden. [5]
Kritik, Unternehmer würden so über die Maßen
hinaus stark entlastet, wird entgegnet, dass Unternehmen die bisher gezahlten
Steuern über die Preise ohnehin an den Endverbraucher
weitergegeben hätten, weshalb dieser letztlich immer sämtliche Steuerlast zu
tragen habe.
Beispiel aus der Sendung 'Menschen bei Maischberger' vom 2.5.06: Bei einer Zahnbürste, die heute
1,20 Euro kostet, sind heute bereits 60 Cent Steuer (Lohnnebenkosten usw.). Bei
Entfallen der Lohnnebenkosten und Einführung einer 50-prozentigen
Mehrwertsteuer, würde die Zahnbürste den Verbraucher wieder 1,20 Euro kosten.[5]. Jedoch sind die Zahlenwerte fehlerhaft. Denn bei
einem Nettopreis von 60 Cent und einer Mehrwertsteuer von 50% ergibt sich ein
Bruttopreis von nur 90 Cent.
Im November 2005 kündigte der
geschäftsführende Inhaber der Drogeriemarktkette dm,
Götz Werner, mit einer Anzeigenkampagne von einem Schaltvolumen von insgesamt
300.000 EUR die Gründung der Initiative "Unternimm die Zukunft" an.
Die Kampagne begann mit einer halbseitigen Anzeige in der Wochenzeitschrift
"Die Zeit"
und wurde dann mit jeweils einem Tag Abstand in anderen überregionalen
Tageszeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und
der Süddeutschen Zeitung fortgesetzt.
Am 23. und 24. Februar 2006 veranstaltete
Werner ein Symposium
zum Grundeinkommen an der Universität Karlsruhe.
Folgende Kritikpunkte werden genannt:
§
Eine
im internationalen Vergleich sehr hohe Mehrwertsteuer würde zu einer Konsumverlagerung
in das Ausland führen, insbesondere wenn der Wohnort grenznah ist oder wenn das
angesparte Kapital eine Verlagerung des
Lebensmittelpunktes zulässt. Nicht nur importierte Waren wären im Ausland
günstiger, sondern auch inländische, selbst wenn diese im Inland nach
Einführung des Modells von Werner nicht teurer würden.
§
Durch
die Umstellung der Finanzierung allein auf eine (nicht progressive) hohe
Mehrwertsteuer wird das Problem der zunehmenden Polarisierung von Arm und Reich
nicht gelöst. Die Akkumulation funktionsloser Vermögen bei den
Wohlhabenden, die trotz hohem Vermögen/Einkommen anteilig kaum am Konsum
teilnehmen, würde sogar beschleunigt, die Binnenkaufkraft aber weiter
geschwächt werden. Somit ist fraglich ob ohne einen Rückkopplungsmechanismus
bezüglich hoher alter Gewinne/Vermögen die unteren und mittleren konsumierenden
Klassen ihren eigenen Sozialtransfer allein aus sich selbst finanzieren können.
Die Vorteile aus der zunehmenden Automatisierung und Globalisierung kommen vor
allem und zunehmend der wohlhabendendsten Schicht
zugute. Selbst in Ländern wie USA und Großbritannien existieren eine Vermögensteuer
in Form einer vergleichsweisen hohen Grundsteuer
und leistet einen erheblichen Beitrag (ca. 8 bis 9 %) zum Steueraufkommen[6].
§
Die
Behauptung, Unternehmer würden makroökonomisch betrachtet letztlich alle ihre Steuern
über die Preise weitergeben ist eine fehlerhafte Vereinfachung. Die
Gewinnmöglichkeiten der Unternehmer in einer effizienten Marktwirtschaft
entsprechen ihrem technischen und methodischen Vorteil gegenüber anderen
(potentiellen) Unternehmern. Eine pauschale steuerliche Rückkopplung z.B. per Vermögensteuer
und/oder progressiver Einkommensteuer würde insgesamt die Verteilungskurve
der Vermögen/Einkommen abflachen und damit wie gewünscht zu einer besseren
Verteilung des Reichtums führen. Eine Mehrwertsteuer allein läuft Gefahr,
gerade die anteilig wenig am Konsum teilnehmenden Großvermögen der Reichen nicht einzubeziehen
und nur auf dem schon schwächeren Teil der Reichtumsverteilungskurve zu wirken.
§
Die
plötzliche Einführung eines sehr hohen bereits existenzsichernden
Grundeinkommens von 1500 € könnte zu sehr den Leistungsanreiz beeinträchtigen
und noch nicht dem derzeitigen Automatisierungsgrad der Wirtschaft entsprechen.
Eine stufenweise Einführung des bedingungslosen Bürgergeldes, und ggf. eine
iterative Anpassung seiner Höhe an die Erfordernisse (ähnlich wie beim
geldpolitischen Instrument des Leitzinses) sollten vorgesehen sein.
§
Fundiertere wissenschaftliche Modellrechnungen und Simulationen für das
Modell stehen noch aus. Erst dadurch könnten die idealen Größenordnungen und
Finanzierungsmöglichkeiten/Steuern ausgelotet werden. Ein Teil des für die
Kampagnen vorgesehenen Geldes könnte besser für die Beschaffung dieser
wissenschaftlichen Grundlagen verwendet werden, was der Seriosität der
Initiative dienen würde.
§
In
Beantwortung der Kritik, dass sich bei Zahlung eines Bürgergelds niemand mehr
als Müllmann verdingen würde, weist die Initiative in ihren FAQ darauf hin, dass
"Grundeinkommen ... zunächst nur an Bundesbürger und vielleicht an lange
in Deutschland lebende ausländische Mitbürger gezahlt werden können. Alle
anderen Mitbürger hätten dadurch viel bessere Aussichten, eine Arbeit in
Deutschland zu finden"[7].
Diese Idee widerspricht EU-Gemeinschaftsrecht, wonach Sozialleistungen nicht
nach Staatsangehörigkeit differenziert werden dürfen, sondern zumindest allen
EU-Bürgern in der Bundesrepublik gleichmäßig zugute kommen müssen, weil
andernfalls die Freizügigkeit beeinträchtigt würde. Außerdem stellt sich die
Frage, ob es mit unserem Selbstverständnis vereinbar wäre, wenn alle in
Deutschland Bürgergeld bekommen, nur die Nicht-EU-Mitbürger nicht. Einen
sachlichen Grund, der nicht allein in der Staatsbürgschaft liegt, gibt es
nicht. Es würde eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen: Menschen mit
Grundeinkommen und ohne Grundeinkommen. Für Menschen ohne Grundeinkommen gäbe
es keinerlei sozialen Absicherungen mehr. Außerdem hätten diese Menschen meist
nur einen sehr kleinen Verdienst. => Verelendung. Dabei würden diese Menschen
die Konsumsteuer entrichten wie alle anderen Menschen im Land auch. Beteiligt
man hingegen jeden Menschen an der Grundsteuer, der legal im Land lebt, wird
dies eine Einwanderungswelle lostreten.
§
Eine
alleinige Besteuerung über die Mehrwertsteuer birgt einen weiteren Kritikpunkt.
Bei der Internalisierung externer Effekte z.B. durch das Verbrennen von
Mineralöl muss der Staat weitere Handlungsmöglichkeiten (wie z.B. die Erhebung
einer Ökosteuer) haben. Dies wird der Marktmechanismus nicht effizient lösen
können, da die sozialen Kosten dort nicht oder nur ungenügend berücksichtigt
werden. Weiter gedacht in diese Richtung muss der Staat dann auch Subventionen
zahlen können, um Innovationen zu fördern, die durch Substitutionseffekte über
den Preismechanismus auf Märkten erst später zustande kämen. Die Forschung
würde sich dadurch, im Vergleich zu anderen Ländern, in denen Subventionen
gezahlt werden, langsamer entwickeln.
§
Kritikpunkt
von Lothar
Späth[5]: Bei einer derart hohen Mehrwertsteuer wird die
Schwarzarbeit blühen. Das System könnte daran kollabieren.
§
Kritikpunkt
von Oskar Lafontaine[5]: was passiert mit Menschen, die heute 1500 Euro
im Monat verdienen? Werner: diese würden dann Null zusätzlich verdienen.
Lafontaine: Darin liegt das große Problem dieses Systems. Anmerkung dazu:
Dieses Zitat ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen: Es fiel zu einem
Zeitpunkt in der Sendung als Herr Lafontaine das System vorgestellt bekam und
es noch nicht verstanden hatte. Im weiteren Verlauf des Dialoges verteidigt
Herr Werner sein System: "Dann müssten die Unternehmen die Attraktivität
ihrer Arbeitsplätze überdenken und etwa den Lohn erhöhen." Das System
sieht vor, dass die Unternehmen das Grundeinkommen um ihre Lohnzahlungen erweitern.
§
Kritikpunkt
von Lothar
Späth[5]: Es gibt richtige Knochenjobs, die nicht gut
bezahlt sind. Die wird dann keiner mehr machen wollen. Antwort Werner: Dann
muss der Unternehmer diese Jobs besser bezahlen oder automatisieren oder diese
Produktion einstellen.
§
Ausländische
Produkte würden sehr teuer: die Preise ausländischer Produkte enthalten
zumindest teilweise noch Lohnnebenkosten. Auf diese Preise würde dann noch die
Konsumsteuer von 50 Prozent aufgesattelt. Diese Produkte wären für Bürger kaum
noch bezahlbar. Schmuggeln hätte Hochkonjunktur. Insgesamt würde die Nachfrage
nach inländischen Produkten steigen, aber vieles kann auch nicht im Land
produziert werden.
§
1
Prozent Mehrwertsteuer bringt in Deutschland dem Staat etwa 8,125 Mrd. Euro pro
Jahr ( siehe Grafik: Entwicklung des
Umsatzsteueraufkommens). Teilt man dies durch 80 Mio. Bürger bleiben jedem
Bürger etwa 100 Euro pro Jahr pro 1 Prozent MWST, also weniger als 10 Euro pro
Monat pro Bürger pro 1 Prozent MWST. Um nur auf 1000 Euro Grundeinkommen pro
Bürger pro Monat zu gelangen, müsste die MWST bereits um 100 Prozent erhöht
werden. Allein um das bundesdeutsche jährliche Steueraufkommen von 420 Mrd.
Euro (siehe Steueraufkommen (Deutschland)) über
die MWST abzudecken, müsste die MWST auf 56 Prozent erhöht werden.
§
Wird
heute ein Produkt exportiert, finanziert der ausländische Verbraucher den
deutschen Sozialstaat mit, da Lohnnebenkosten im Produktpreis enthalten sind.
Bei einer Verlegung der Steuereinnahmen rein auf Konsumsteuer, müsste der
deutsche Bürger seinen Sozialstaat alleine finanzieren. Die Belastung für den
deutschen Bürger wäre höher als heute. Dies könnte jedoch durch eine
Konsumsteuer auf exportierte Güter ausgeglichen werden, wodurch jedoch der
Produktpreis für ausländische Käufer wieder steigt. Bei einem Exportvolumen von
800 Milliarden Euro jährlich (siehe Export) würden ohne Steuereinnahmen auf diesem Teil vermutlich
Steuerausfälle von 100 Mrd. bis 200 Mrd. Euro stattfinden. Zum Ausgleich müsste
die inländische MwSt um 13 bis 26 Prozent höher
liegen.
§
Der
im ersten Kritikpunkt angesprochene Preisgradient fällt nicht so hoch aus, wie
es den ersten Anschein hat (z.B. 148 zu 120 an der Grenze zu Österreich), da
die in beiden Fällen vorhandenen lohnintensiven Einzelhandelskosten beim
Werner'schen Modell deutlich geringer sind.
§
Die
im zweiten Kritikpunkt befürchtete Polarisierung ist so nicht festzustellen. In
Alaska hat ein deutlich unter den Forderungen Werners liegendes Grundeinkommen
zur Verringerung der Ungleichheit geführt.
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